| Grenzen | Borders

Europäischer Architekturfotografie-Preis architekturbild 2017

Künstlerisch-fotografische Auseinandersetzung mit der gebauten Umwelt – ZB zeigt Arbeiten des Europäischen Architekturfotografie-Preises

Baulich manifestiert, eindeutig lesbar oder subtil spürbar, schützend oder abschreckend –  so unterschiedlich werden Grenzen wahrgenommen. "Mit ‚Grenzen | Borders‘ widmete sich der ‚Europäische Architekturfotografie-Preis architekturbild 2017‘ der fotografisch-künstlerischen Auseinandersetzung unter anderem mit räumlichen Phänomenen wie Übergängen oder Schnittstellen im Stadtraum. 133 Künstler aus der ganzen Welt reichten ihre Arbeiten ein, die 28 prämierten Fotoserien - darunter vier Preisträger - bekommen Sie heute zu sehen", sagte Ina Seddig, Sprecherin der Kammergruppe Mainz/Mainz-Bingen, in ihrer Begrüßung zur Ausstellungseröffnung.

"Architekturvermittlung ohne Fotografie ist kaum denkbar. Ich freue mich daher ganz besonders, dass wir erstmals mit unserer Wanderausstellung hier im Zentrum Baukultur sind",  betonte Christina Gräwe, Vorsitzende des architekturbild e.v. und Jurymitglied. Sie stelle den Wettbewerb aus Auslobersicht vor und führte in die Ausstellung ein. Zunächst warf sie die Frage auf, was zeitgenössische Architekturfotografie überhaupt sei. Ihr Fazit: "Die Architekturfotografie gibt es nicht!" Die Bandbreite reiche, so Gräwe, von dokumentarisch bis künstlerisch; aber natürlich gebe es auch viele Facetten dazwischen. Das zeigten auch die 28 prämierten Arbeiten, deren "durchgängig hohes Niveau" sie lobte. Mit dem Thema ‚Grenzen | Borders‘ habe man zum Zeitpunkt des Flüchtlingspeaks bewusst auch politisch motivierte Bilder provoziert. Diese Arbeiten gab es auch, "dennoch ist in diesem Jahr der Architekturbezug erfreulicherweise wieder deutlich stärker, als in den Vorjahren", sagte sie mit Verweis auf einzelne Arbeiten. "Worte allein reichen nicht aus. Sie als  Betrachter sind gefordert, eigene Geschichten aus den Bildserien zu lesen!", forderte sie die zahlreich erschienenen Gäste, zu einem Rundgang durch die Ausstellung im Anschluss an die Vorträge auf.

In ganz andere Gefilde ging es dann mit dem Impulsvortrag ‚GrenzRäume‘ von Dr. Anna-Maria Brandstetter vom Institut für Ethnologie und Afrikastudien an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Am Beispiel eines Gehöfts bei St. Margareth am Walchensee, eines Gehöfts in Ruanda sowie einer Unterkunft des Nomadenvolkes Wodaabe veranschaulichte sie, dass sich Grenzen nicht immer baulich manifestieren müssen, um auch als solche wahrgenommen zu werden. "Architektur schafft Grenzen. Und Grenzen definieren und schaffen soziale Räume – überall auf der Welt. Es geht daher nicht um die Frage, wie wir Grenzen abschaffen, sondern wie wir Grenzen und Schwellen gestalten wollen." Denn Grenzen und Schwellen sind – so Dr. Brandstetter – bauliche, vor allem aber soziale Konstrukte, für die einerseits das Limitierende, andererseits das Durchlässige konstitutiv sind. Ohne Schwelle keine Grenze.

Zum Abschluss stellte der Kölner Fotograf Matthias Jung seine preisgekrönte Arbeit "Revier" vor. Die vierteilige Bildserie zeigt Nachtaufnahmen einer verlassenen Siedlung, die dem Braunkohletagebau Garzweiler weichen musste. Bauliche Grenzen, Übergänge und Strukturen fallen in der Tagebauregion der Zerstörung anheim. ‚Grenzen‘, so Jung, "wäre auch ein zutreffender Titel für meine Arbeit gewesen. Denn in dem Gebiet existieren - zumindest keine definierten - Grenzen mehr. Es gibt keine Landmarken, jede Begrenzung fehlt. Wo öffentlicher Raum endet und das Werksgelände des Energieunternehmens RWE anfängt, kann sich schon morgen ändern." Seit Jahren kehrt der Fotograf immer wieder an die gleichen Orte zurück, um den Wandel zu dokumentieren: Orte werden entvölkert, demontiert, planiert und verschwinden schließlich ganz; selbst der Immerather Dom fiel der Abrissbirne zum Opfer. Diese Bilder ergänzt Matthias Jung um Innenräume, die beinahe lakonisch vom Leben der Menschen in verschwindenden Orten und Landschaften berichten. Die letzte Kartoffelkönigin steht im vollen Ornat in der elterlichen Küche, ein Sonnenstrahl hebt ihre ernste, konzentrierte Erscheinung ins Surreale. Das Haus wurde wenige Monate nach dem Foto abgerissen. Ein Sitzungsraum wird dokumentiert, eine zweites Bild zeigt einige Menschen um einen Tisch in einem anderen Raum. Was so nüchtern dokumentarisch daher kommt, zeigt den Raum, in dem über Enteignung, Entschädigung und den Verlust von Heimat bestimmt wird, und den Raum, in dem die Dorfbewohner ihren Widerstand organisieren. Die Grenze zwischen beiden steht beim Bericht von Matthias Jung mitten im Raum.

Die Ausstellung ‚Grenzen | Borders‘ geht noch bis zum 13. April und  zeigt, wie weit der Begriff Architekturfotografie gefasst werden kann: Die erstplatzierte Serie ‚Arrival‘ von Andreas Gehrke dokumentiert beispielsweise in Schwarz-Weiß- und Farbfotografien provisorische Flüchtlingsunterkünfte in Berlin. ‚Stone record‘ von Daniel Poller widmet sich den Themen Umbau, Abriss und Neubau und zeigt damit auch die Folgen eines grenzenlosen Immobilienmarktes auf.

Zur Finissage am 13. April um 17.30 Uhr geht es um Wandbilder im nordirischen Derry, die Stadträume, Sozialräume und ideologisch besetzte Räume voneinander abgrenzen.

Hintergrund
Der Europäische Architekturfotografie-Preis ist ein weltweit einzigartiger und international beachteter Preis. Er wird seit 1995 alle zwei Jahre ausgelobt, seit 2003 vom architekturbild e.v., seit 2008 in Kooperation mit dem Deutschen Architekturmuseum und seit 2016 mit der Bundesstiftung Baukultur als weiterer Partnerin. Eine interdisziplinär und international besetzte Jury wählt bei jedem Wettbewerb die 28 besten fotographisch-künstlerischen Arbeiten aus, die dann in einer Wanderausstellung gezeigt werden.

Termin

Donnerstag, 22. März 2018

Zentrum Baukultur im Brückenturm | Rheinstraße 55 | 55116 Mainz

Veranstalter:

Zentrum Baukultur Rheinland-Pfalz

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