27.07.2020 | Welterbe Oberes Mittelrheintal

Ornament und Farbe

Was bewegt ein Nordlicht und einen Pfälzer, an den Rhein zu ziehen und hier ein Unternehmen zu gründen? Der Impuls und Wunsch einem historischen Baumaterial eine zweite Chance und damit ein Revival zu schenken!

Mit feinem Gespür für die Verbindung von Kunst und Handwerk und entgegen aller Widerstände machte das Ehepaar Almut Lager und Norbert Kummermehr es sich zur Aufgabe, wieder mehr Farbe und Formenvielfalt in Häuser und Räume einziehen zu lassen. Innerhalb weniger Jahre schafften sie es, ein weltweit agierendes Familienunternehmen für die Produktion und den Vertrieb dekorativer Zementmosaik- und Terrazzoplatten aufzubauen. Ihren Anfang nahm die Erfolgsgeschichte im alten Schiefermahlwerk von Kaub, in das die junge Familie 2003 zog. Während sie noch das ortsprägende Industriedenkmal aus den 1940er Jahren von Grund auf sanierte und mit ihren farbenfrohen Mosaiken eine neue Wohn- und Arbeitswelt schuf, eroberten ihre Produkte die Böden und Wände von Läden, Restaurants, Hotels, Kirchen und Wohnhäusern. Die hohe Nachfrage und stetige Erweiterung ihres Produktsortiments erforderte bald größere Lagerkapazitäten und Logistikflächen, weshalb das Unternehmen 2011 von Kaub ans andere Rheinufer zog. Nur eine Gehwegbreite von der Bundesstraße 9 und dem direkt danebenliegenden Bahndamm entfernt, wartete über zehn Jahre lang das herrschaftliche Traditionshaus der Sektkelterei Geiling am südlichen Ortseingang von Bacharach darauf, wieder wachgeküsst zu werden. Doch dem alten, über 100 Meter langen Gebäude, das dem Firmengründer und Sektproduzenten Georg Geiling zur Lagerung und Veredelung lokaler Weine diente, hing der Geruch des Leerstands und Verfalls an. Das dunkel gestrichene Treppenhaus war schwarz verschimmelt und zwischen Verkehrs- und Bahnlärm sowie dem bis an die Rückwand des historischen Gebäudekomplexes reichenden Berghang lag nichts als eine unfertige Gebäudehülle. Herausforderung und Chance zugleich, denn das zwischen 1913 und 1921 als repräsentatives Château gebaute Ensemble, dessen Fertigstellung die beiden Weltkriege verhinderten, stand unter Denkmalschutz und hatte gleichzeitig Potenzial für Veränderung und Erweiterung. In der Eingangshalle hängt heute die Zeichnung des ursprünglichen, fast doppelt so groß geplanten Gebäudeentwurfs, die ein Ehepaar beim Aufräumen des Speichers fand und den Firmeninhabern schenkte. Statt Sekt lagern nunmehr Zementmosaik-, Terrazzo- und Trottoirplatten sowie Wandfarben in den langen Gewölbegängen, die von der 1.000 qm großen, neuen Glashalle aus in die ganze Welt geliefert werden. Auch lebt der Repräsentationsgedanke des Sekthauses weiter in den Ausstellungs- und Büroräumen. Am eindrücklichsten ist dies im Blauen Salon mit umlaufendem Stuckfries, korrespondierenden VIA-Bodenplatten und spektakulärem Rheinblick zu erleben. Die Philosophie des Unternehmens weiter, doch nicht fertig zu bauen, lässt Raum für zukünftige Veränderungen: gelebte Baukultur zwischen Altem und Neuem!

Nachgefragt: Weiterbauen im denkmalgeschützten Bestand

Der Charakter und die Identität von Städten und Dörfern wird bestimmt durch öffentliche Bauten und Wohnhäuser, die im Verlauf der Zeit entstanden und dem jeweiligen Ort ein spezifisches Gesicht geben. Doch viele dieser alten Gebäude finden heute keine neuen Eigentümer und gewachsenen Strukturen droht der Leerstand und Verfall. Wir wollen wissen, was Menschen motiviert, in eine Bestandsimmobilie zu investieren und fragen Almut Lager und Norbert Kummermehr von VIA, was es braucht, um gebautes Erbe zu bewahren und gleichzeitig heutigen Anforderungen gerecht zu werden.

Was reizt Sie an Bestandsimmobilien?
Almut Lager: Anders als beim Entwurf für einen Neubau, ist bei einer Bestandsimmobilie bereits etwas da. Es lässt sich sehen und erspüren, was für ein Gebäude es ist und zu welchem Zweck es erbaut wurde. Gerne erkunde ich das Bauwerk zu Beginn vom Keller bis zum Dach und schaue es mir so lange an, bis ich weiß, was wichtig ist und was nicht. Ich erarbeite mir lieber ein Gebäude, als dass ich es neu baue und fördere so verborgene Schönheit wieder zu Tage.

Was war für Sie die größte Herausforderung beim behutsamen Weiterbauen?
Norbert Kummermehr: Der Umgang mit der Vergangenheit. Um die Bestandsimmobilie an heutige, unternehmensspezifische Anforderungen anzupassen, war es erforderlich, Neues hervorzubringen und Geschichte als Kontinuität zu begreifen. Das Weiterbauen der Immobilie mit der Sprache unserer Zeit gelang mit einer Stahl-Glaskonstruktion. Durch die Helligkeit und Leichtigkeit der Anbauten konnte die Schwere der Bestandsimmobilie ausgeglichen und ein harmonisches Nebeneinander von Alt und Neu gefunden werden.

Wer und was hat Ihnen geholfen bei Planung und Umbau?
Norbert Kummermehr: Bei der Umsetzung wurde nicht der Weg der preisorientierten Ausschreibung gewählt, sondern die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit vertrauenswürdigen Handwerkern. Der Baufortschritt wurde auf Sicht durchgeführt. Dadurch konnte der Umbau sehr zügig umgesetzt werden. Die Umbauzeit von weniger als 12 Monaten bei gleichzeitiger Budgeteinhaltung sprechen für sich.

Ornament und Farbe (PDF)

Interview: Andrea Schwappach

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