| Gemeinschaftliches Bauen und Wohnen
Symposium "Planen mit Gruppen" am 24. August 2018 in Bad Dürkheim
Gemeinschaftliches Wohnen gewinnt in Rheinland-Pfalz zunehmend an Bedeutung. Denn immer mehr Menschen wünschen sich aktive Nachbarschaften, in denen man sich gegenseitig unterstützt und möglichst bis ins hohe Alter wohnen bleiben kann. Doch neue Wohnformen bieten nicht nur viele soziale Vorteile. Sie bieten auch die Chance, den steigenden Wohnraumpreisen durch Gemeinschaftskonzepte langfristig entgegenzuwirken. Das Symposium "Planen mit Gruppen", das am 24. August 2018 im Rahmen der Wohnprojekttage Rheinland-Pfalz 2018 "Gemeinschaft MACHT Sinn" in Bad Dürkheim stattfand, nahm Planungsprozess mit Gruppen in den Blick.
"Gemeinschaftliches Wohnen ist keine private, sondern eine öffentliche Aufgabe", betonte Christoph Glogger, Bürgermeister Bad Dürkheims und Schirmherr der Wohnprojekttage Rheinland-Pfalz 2018 in seiner Begrüßung. "In der Kommunalpolitik herrscht zwar noch Erklärungsbedarf. Wir sind aber auf dem richtigen Weg", führte er mit Verweis auf den ortsansässigen Verein WohnWege aus, der bereits zwei Wohnprojekte realisiert hat.
"Luxus liegt im Teilen." (B. Kasper)
Im anschließenden Impulsvortrag berichtete Birgit Kasper vom Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen aus ihrer Berufspraxis. Die 2009 eröffnete Beratungsstelle ist zuständig für die Koordination, Beratung und Unterstützung von Baugruppen sowie die strategische Weiterentwicklung des Themas. Künftig werden Nachbarschaften stärker am Planungsprozess beteiligt sein, war sich die Frankfurter Stadtplanerin sicher und nannte gute Gründe für den Aufschwung gemeinschaftlicher Wohnprojekte: soziale und wirtschaftliche Aspekte, wie die langfristig Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, aber auch baulich-räumliche Aspekte. Schließlich wüssten die Nutzer selbst am besten, wie sie wohnen wollen, welche Wohnungsgröße und -zuschnitt sie benötigen.
"Luxus liegt im Teilen", erläuterte Kasper und verwies auf Zürich als Vorreiter gemeinschaftlicher, generationenübergreifender Wohnprojekte. Von Gemeinschaftsküchen über Werkstätten bis hin zum Kinderspielraum – der Vielfalt gemeinschaftlich genutzter Flächen sei keine Grenze gesetzt. Je größer die Gruppe, desto eher ließen sich solche Gemeinschaftsräume auch realisieren. Ihre Devise lautete daher "Groß denken". Auf eine geeignete Gruppengröße wollte sie sich jedoch nicht festlegen: "Die Patentlösung gibt es nicht. Jede Gruppe muss für sich entscheiden, was das richtige ist. Am Anfang stehen viele Wünsche und man muss sich fragen: Was will ich? Welche Gemeinschaft wollen wir? Findet die Gemeinschaft ihren Raum? Die Planung ist ein partizipativer, nicht linearer Prozess, bei dem die Gruppen verschiedene Phasen durchlaufen." Ihr Tipp: Fachleute mit Moderationserfahrung einbinden, die als externe Lotsen fungieren.
Doch was reizt Architekturbüros an der Zusammenarbeit mit Baugruppen? Schließlich kann sich der Planungsprozess in die Länge ziehen, es wird viel und oft geändert und es ist nicht sicher, ob das Projekt gelingt. "Das eigene Interesse, die Suche nach einer Herausforderung und das Streben nach urbaner Vielfalt", konstatierte Kaspar. Gemeinschaftliche Wohnprojekte, wie sie sie in Frankfurt betreut, seien auch in ländlichen Regionen umsetzbar: "Gerade leerstehende Gebäude in Ortskernen sind wunderbar geeignet für Gemeinschaften, zumal damit dem sogenannten Donut-Effekt entgegengewirkt werden kann", sagte sie abschließend.
"Barrierefreiheit fängt im Kopf an." (U. Knauth)
"In Zukunft barrierefrei! Planen, Modernisieren und Bauen in allen Lebenslagen." Unter diesem Titel gab Uwe Knauth, Vorstandsmitglied der Architektenkammer und Berater der Landesberatungsstelle Barrierefreies Bauen und Wohnen, Tipps zum barrierefreien (Um-)Bauen - von schwellenlosen Übergängen, Rampen mit bis zu sechs Prozent Steigung oder Gefälle, Kontrasten zur besseren Sichtbarkeit bis hin zum barrierefreien Bad. "Barrierefreiheit fängt im Kopf an", sagte Knauth. Es freue ihn ganz besonders, so der Architekt, dass Barrierefreiheit zunehmend Bestandteil moderner Wohnvorstellungen und -wünsche werde.
"Der Weg ist das Ziel." (C. Holzer)
Der anschließende Vortrag von Carolin Holzer nahm partizipative Prozesse bei gemeinschaftlichen Bauprojekten in den Blick. Die Beraterin für Prozesse und Organisation zählt zu den Gründungsmitgliedern des Wohnprojekts "Z.WO eG i.G., Mainz – zusammen wohnen", mit dem künftig im Heiligenkreuz-Viertel rund vierzig bezahlbare Wohneinheiten geschaffen werden sollen.
"Ähnlich der Frage `Was war zuerst da, das Huhn oder das Ei?´ verhält es sich auch mit der Frage `Zuerst das Grundstück, die Gruppe oder die Vision?´", so Holzer. Aus ihrer persönlichen Erfahrung - das Wohnprojekt Z.WO musste auch Rückschläge verkraften - plädiere sie für die Vision. Stehe diese fest, würden sich die Gruppe und ein geeignetes Grundstück schon finden. "Der Weg ist das Ziel", zeigte sich Holzer zuversichtlich. Die Mainzer Baugruppe, die eng mit dem Frankfurter Architekturbüro BB22 zusammenarbeitet, steht kurz vor ihrer Eintragung als Genossenschaft; ein Grundstück im Heiligenkreuz-Viertel ist bereits in Aussicht. "Wenn alles glatt geht, werden wir 2021 unser neues Zuhause beziehen können." Übrigens nicht für immer. Denn die aktuell dreizehn Genossenschaftsmitglieder haben sich zur Wohnungsrotation verpflichtet. Ziehen die Kinder aus, erfolgt ein Umzug in eine kleinere Wohnung - aber im selben Objekt, so dass das Umfeld unverändert bleibt.
"Wer wagt, der gewinnt." (W. Hable)
Zum Abschluss präsentierten der Münchener Architekt Walter Hable und Rut-Maria Gollan, Vorstand Wohnbaugenossenschaft wagnis eG, gemeinsam die Münchener Wohnanlage "wagnisART", die 2016 mit dem deutschen Städtebaupreis und 2017 mit dem Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet worden war. Die Anlage mit knapp 140 Wohnungen verfügt über zahlreiche öffentliche und gemeinschaftliche Nutzungen wie Restaurant, Veranstaltungsraum und Werkstätten sowie Clusterwohnungen, die über Gemeinschaftsflächen erschlossen werden. Die fünf, nach den Kontinenten benannten Häuser sind über Brücken miteinander verbunden. Auch die Freiraumgestaltung mit den beiden ineinanderfließenden Höfen und der außergewöhnlichen Dachgarten-Landschaft unterstützt das nachbarschaftliche Miteinander. "Dass wir heute – zweieinhalb Jahre nach Bezug – zusammen hier stehen, ist schon etwas Besonderes und zeigt, wie gut die enge Zusammenarbeit (auch in diversen Workshops) funktioniert hat. Als Architekt baut man in der Regel Wohnhäuser, ohne ihre Bewohnerschaft zu kennen. Das ist hier anders. Die Bewohner kennen uns Architekten und umgekehrt." Und Gollan ergänzte: "Gemeinschaftliches Bauen ist nicht nur eine Möglichkeit bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, sondern für alle ein Gewinn."
Die Veranstaltung wurde moderiert von Teamcoach und Gemeinschaftstrainerin Eva Stützel, die als Mitbegründerin des Ökodorfs Sieben Linden, eines von Deutschlands ältesten und größten Gemeinschaftsprojekten, einschlägige Erfahrung sammelte.
Hintergrund
Die Wohnprojekttage Rheinland-Pfalz werden von der Landeszentrale für Gesundheitsförderung in Rheinland-Pfalz e.V. (LZG) veranstaltet und richten sich an Wohninteressierte, Projektgründer, die Wohnungswirtschaft sowie Vertreter von Stadt- und Landgemeinden.
In 2018 liegt der Fokus mit dem Motto "Gemeinschaft MACHT Sinn" auf gemeinschaftlichen Wohnprojekten, die Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen zusammen bringen: alte und junge, besser und geringer verdienende, behinderte und nicht behinderte.
Termin
Freitag, 24. August 2018
Dürkheimer Haus, Kaiserslauterer Straße 1 (Ecke Gaustraße), Bad Dürkheim
Veranstalter:Zentrum Baukultur Rheinland-Pfalz
Kooperationspartner:Landeszentrale für Gesundheitsförderungin Rheinland-Pfalz e.V. (LZG)
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