| Einfach wohnen – neu denken

Ein neues Bewusstsein ist nötig

Mainz. Bauland und Bausubstanz sind endliche Ressourcen – besonders in städtischen Ballungsbieten wie Mainz. Immobilien- und Energiepreise steigen weiter, das Budget der meisten Menschen wächst jedoch nicht im gleichen Maße. Wie also zukunftsfähig planen und bauen? Wie viel Wohnfläche kann und sollte man sich noch leisten? Provokante aber auch praktische Antworten auf diese und ähnliche Fragen lieferte die Veranstaltung "Einfach wohnen– neu denken." am 24. Oktober im Zentrum Baukultur.

Thomas Dang, Vorstandsmitglied der Architektenkammer Rheinland- Pfalz führte in den Abend ein. Für Architekten stehe am Anfang eines jeden Bauprojekts, noch vor Beginn aller Leistungsphasen, die Frage nach Umfang und Richtung der Planungen. Was ist angemessen, also suffizient? Dang, seit 25 Jahren Architekt, stellte fest: "Die Wünsche der Bauherren werden aus meiner Erfahrung heraus immer größer. Beispielsweise haben heute viele Einfamilienhäuser drei Bäder: Elternbad, Kinderbad, Gäste–Duschbad. Braucht man das wirklich?" Es ginge darum, die eigenen Nutzungsanforderungen kritisch zu hinterfragen und sich über das richtige Maß bewusst zu werden.

Den theoretischen Unterbau der gemeinsamen Informationsveranstaltung des Zentrum Baukultur Rheinland-Pfalz und der LBS Landesbausparkasse Südwest lieferte Professor Ingo Gabriel aus Oldenburg in seinem ebenso provokanten wie mitreißenden Vortrag "Mehr als nur wenig – die Kunst des Weglassens". Der Begriff Suffizienz bedeute zunächst Änderungen der vorherrschenden Denk- und Konsummuster. Fragen wie: "Welche Ressourcen stehen jedem persönlich, finanziell und zeitlich zur Verfügung?" und "Was brauche ich wirklich?" stünden am Anfang der Überlegungen in diesem Kontext. Ein Reduzieren in allen Bereichen des Lebens, konkret in Bezug auf die Immobilie – weniger Wohnfläche und Bauvolumen – führe zu mehr Zeit, Gelassenheit, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung, so seine These. Man solle sich die ehrliche Antwort auf die Frage: "Welchen Anteil meiner Lebensarbeitszeit möchte ich für den Kauf einer Immobilie aufwenden?", vor Augen führen. Gabriel appellierte an jeden Einzelnen, den persönlichen Bedarf an Wohnfläche ehrlich zu hinterfragen. Er unterfütterte dies mit einigen Beispielen. Unter anderem errechnete Gabriel, was ungenutzte Kinderzimmer an Kapital binden, wenn sie nach Auszug der Kinder zum Stauraum oder Gästezimmer werden: "Dafür können Sie sich drei Kreuzfahrten leisten", so sein Vorschlag.

Grundsätzlich werde, laut Gabriel, das Stadt-Land-Gefälle in Bezug auf den Wohnungsmarkt immer größer. Der demographische Wandel sorge für eine regelrechte Überalterung einzelner Quartiere. Landflucht sei die Folge. Das Praxisbeispiel des Architekten Atila Mokuš zeigte einen möglichen Umgang mit dieser Problematik. Er präsentierte sein eigenes, umgebautes und modernisiertes Haus mit Baujahr 1968. Das Wohnhaus in Lahnstein ist Teil einer Siedlung, die überwiegend in Eigenleistung angelegt wurde. Wichtige Aspekte für seinen Kauf seien die gute Nahversorgung und die Strukturen der Selbstversorgung im Quartier gewesen, so Mokuš. Suffizienz bedeute für ihn, altersgerechtes Wohnen zu einem wesentlichen Planungsaspekt bei allen Sanierungsarbeiten zu machen. Anpassungen an sich ändernde Lebensumstände seien so mit geringem baulichem und finanziellem Aufwand möglich. Trotz angespannter Lage auf dem Immobilienmarkt könne man die Gesamtinvestitionskosten gering halten, indem man von Beginn an – im besten Fall noch vor dem Kauf einer Immobilie – einen Architekten bei der Bestandanalyse zu Rate zieht, riet Mokuš. Dieser könne unter Berücksichtigung der eigenen Wohnwünsche auch einen Kostenvoranschlag liefern.

Die von Alexandra May moderierte Diskussionsrunde zeigte gegen Ende des Abends die teilweise auseinandergehenden Positionen deutlich. So äußerte Professor Gabriel die Ansicht, es gebe insgesamt genügend Wohnraum in Deutschland und auch Rheinland-Pfalz. Dieser sei nur falsch verteilt. Seiner Ansicht nachmüssten älteren und allein lebenden Menschen, die in Siedlungen ähnlich der in Lahnstein auf sehr vielen Quadratmetern wohnen, "umgetopft" werden, um den Wohnraum Familien mit Kindern zugänglich zu machen. Er regte an darüber nachzudenken, wie man den Betroffenen den Umzug erleichtern könne. In den kommenden Jahren würden viele Häuser frei, Neubausiedlungen seien daher im Grundsatz nicht erforderlich, so Gabriel.

Die rheinland-pfälzische Finanz- und Bauministerin Doris Ahnen bestätigte im Grundsatz die Analyse des Verteilungsproblems, hielt jedoch bei der so griffig formulierten, scheinbar einfachen Lösung dagegen: Man müsse zunächst auch die Belange und Wünsche dieser Menschen berücksichtigen. Für die meisten älteren Menschen seien die gewohnte Umgebung, die bekannten Strukturen und das soziale Umfeld wichtige Voraussetzungen für einen adäquaten Lebensabend. Es müssten vielmehr Wege gefunden werden, barrierearme Wohnungen in entsprechenden Quartieren zu schaffen. Umnutzungen und Bestandsumbauten allein reichten nach Ansicht der Ministerin nicht aus. Vielmehr seien in Städten wie Mainz Neubauten, in erster Linie sozial geförderter Wohnraum, dringend erforderlich, so Ahnen. Um die Baukosten zwecks sozial verträglicher Mieten im Blick zu halten, müsse jedoch die Wohnfläche pro Kopf reduziert werden. "Häufig geht es um die Angst: Kann ich mir mit meinem Gehalt überhaupt eine Wohnung leisten?", sagte Ahnen. Die Aufgaben der Landespolitik seien hier, das Ringen um Wohnraum in den Ballungszentren ebenso einzudämmen, wie den Leerstand der Ortskerne in ländlichen Regionen. Doch eben nicht als einfache Rechenaufgabe. Dies gehe an der Lebenswirklichkeit vorbei. Daher verfolge die Politik auch in kleineren Städten das Prinzip "Innen- vor Außenentwicklung", so Ahnen weiter. Wettbewerbe wie "Mehr MITTE bitte!", ausgelobt vom Land und dem Gemeinde- und Städtebund Rheinland-Pfalz in Kooperation mit der Architektenkammer Rheinland-Pfalz, sorgten dafür, Ortskerne als Wohnort wieder zu entdecken.

Das Land Rheinland- Pfalz habe zwar insgesamt beim Wohneigentumsprogramm der sozialen Wohnraumförderung erhebliche Verbesserungen vorgenommen, dennoch sei eine Renaissance der Förderstrukturen notwendig, so Ahnen. Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der LBS Landesbausparkasse Südwest Uwe Wöhlert schloss sich diesem Grundtenor an. "Politik schafft den Rahmen, wir schaffen das Bewusstsein. Wohnraum muss erwerbbar bleiben". Die Fördermöglichkeiten seien so gut wie nie zuvor. Dennoch müsse man das richtige Maß im Blick behalten: "Der Eigenheimbau oder Kauf sind für die meisten Menschen die größte Investition in ihrem Leben. Finanziell muss deshalb immer alles gut durchdacht sein – am besten geht man seine Möglichkeiten und Wünsche gemeinsam mit einem Finanz-, Bauspar- oder Immobilienberater durch. Am Ende steht eine realistische Einschätzung, was man sich wirklich leisten kann."

Michael Back, Leiter Kundenbetreuung und Beratung der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz, wies darauf hin, dass sich die Förderung am Einkommen orientierte. "Bei Haushalten mit mehr als drei Kindern ist eine Steigerung um zehn Prozent für das dritte und jedes weitere Kind möglich", so Back.“ Neu im Rahmen der Wohneigentumsförderung seien Tilgungszuschüsse in Höhe von fünf Prozent des ISB- Darlehens. Zu den Verbesserungen gehöre außerdem eine Verbilligung der ISB- Zinssätze, die Einführung von Tilgungszuschüssen für die ISB- Darlehen Wohneigentum sowie die Anhebung der Förderhöchstbeträge.

Professor Gabriel hingegen sah bei der Baufinanzierung die Gefahr der niedrigen Zinsen. Die aktuell sehr günstigen Kreditkonditionen verleiteten dazu, sich höher zu verschulden und ein größeres Bauvolumen zu erzeugen, als tatsächlich notwendig. Zu Beginn des Abends gab er zu Bedenken: Die Honorarordnung verleite Planer zudem aus seiner Sicht dazu, ein möglichst großes Bauvolumen im Hinblick auf das zu erwartende Honorar zu erzeugen. Diese These hatte allerdings zumindest ein Praxisbeispiel des Abends bereits widerlegt: Der Mainzer Architekt Henning Grahn hatte die Transformation eines 1970er Jahre Hauses in Klein-Winternheim vorgestellt. Die Steigerung der Wohnqualität wurde hier nicht durch ein Mehr an Wohnfläche, sondern das volle Ausschöpfen des Potentials des Bestandsbaus erreicht. Bodentiefe, raumhohe Fenster und das Konzept der "durchgesteckten" Räume prägen die Atmosphäre des Wohnhauses. Hinsichtlich des Suffizienzgedankens und möglichst niedriger Baukosten müssten auch Materialien neu gedacht werden, so Grahn. So fungieren beispielsweise kostengünstige Gitterroste als Balkonbrüstungen sowie als Absturzsicherung bei den Fenstern. Als Bodenbelag in den Wohnräumen kamen lackierte Pressspanplatten zum Einsatz

Einig waren sich die Gesprächspartner jedoch darin, dass ein Umdenken in den Köpfen vieler Menschen notwendig sei. Auf flexible, zukunftsfähige Konzepte bei der Baufinanzierung bis hin zur Grundrissentwicklung komme es an. Diese müssten sich an unterschiedliche Lebensphasen anpassen. Um dem Thema Suffizienz beim Bauen grundsätzlich gerecht zu werden, sei ein interdisziplinärer Austausch zwischen Stadtplanern und Architekten notwendig. Thomas Dang erweitere die Thematik auch in Richtung der Architektenausbildung. "Die soziale Kompetenz der Studierenden muss gefördert werden", forderte er. Dadurch könne beispielsweise die Beratung potentieller Bauherren im Suffizienzkontext zielführender abgehalten werden.

Die Abschlussfrage der Moderatorin Alexandra May forderte ein Publikumsvotum. Der Frage: "Brauchen wir ein neues Bewusstsein für Suffizienz?" stimmte eine eindeutige Mehrheit zu.

Hier finden Sie die Pressemitteilung (PDF) zur Veranstaltung.

Termin

Dienstag, 24. Oktober 2017

Zentrum Baukultur im Brückenturm | Rheinstraße 55 | 55116 Mainz

Veranstalter:

Zentrum Baukultur Rheinland-Pfalz

Kooperationspartner:

LBS Landesbausparkasse Südwest

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